Fast alles, was wir erschaffen, existierte zuvor als Vorstellung
Wenn wir Menschen eine Idee haben, liefert unsere Vorstellungskraft sofort die Bilder dazu. Oft ist es auch umgekehrt: Wir setzen unsere Vorstellungskraft ein, um neue Ideen zu bekommen. In beiden Fällen sind die Ideen und Vorstellungen schöpferisch. Sie regen unser Unterbewusstsein, Überbewusstsein und unsere Tatkraft an, die sich an die Arbeit machen, um die Verwirklichung der Bilder zu unterstützen.
Jeder Mensch hat große schöpferische Fähigkeiten dank seiner Vorstellungskraft. Er kann sie einsetzen, um sein Leben und das Leben anderer zu verändern – und natürlich um zu träumen.
»Gleicht eine schwangere Frau nicht einem Künstler voller Kreativität, der Tag und Nacht mit seinem Kunstwerk zusammenlebt?«
Yves Moisan
Der Einfluss von Gedanken und Vorstellungen in der Schwangerschaft
Ein werdendes Kind kann genauso gut auf die Gedanken und Gefühle wie auf die Worte der Mutter reagieren. Schon viele Mütter haben solche Reaktionen ihres Kindes bemerkt. Es scheint, dass es – über die gesprochenen Worte hinaus – eine subtile Sprache gibt, die solche Geschöpfe verstehen, die miteinander verbunden sind, wie die Mutter und das Kind.
Eine werdende Mutter kann die Kraft ihrer Vorstellungen für die positive Entwicklung ihres Kindes nützen. Sie kann sich bildlich vorstellen, wie das Kind sich in allen Lebensabschnitten bewähren wird: Als Baby ist es aufgeweckt und kräftig; als Kind ist es lebhaft, robust und vielseitig interessiert; als Jugendlicher ist es intelligent, aktiv, ausgeglichen, selbstständig und offen für die Menschen und die Welt; und als Erwachsener ist es schließlich verantwortungsbewusst, frei und schöpferisch. Dies ist sogar einfach für sie, denn man kann beobachten, dass die werdenden Mütter manchmal mit dem Kind in ihrem Leib sprechen, als wäre es ein Baby oder ein Kleinkind, meistens jedoch als wäre es ein Erwachsener.
Dennoch gibt es zwei Gefahren, die man vermeiden muss: Man sollte sich nicht zu stark wünschen und vorstellen, welches Geschlecht das Kind haben soll und welchen Beruf es später ausüben soll. Wenn die Mutter zu sehr ein anderes Geschlecht erträumt und gewollt hat, so hat das Kind nachher Schwierigkeiten, die Wesenszüge und Merkmale seines Geschlechts voll zum Ausdruck zu bringen. Da die Kinder schon in der Zeit vor der Geburt ein derartig starkes Bedürfnis haben, geliebt zu werden und unbedingt den Wunsch ihrer Eltern zu erfüllen, werden manche Jungen unbewusst in ihrer Kindheit weiblich und manche Mädchen sogenannte »verloren gegangene Jungen« und sie behalten diese Charakteristik ihr Leben lang.
Man soll außerdem darauf achten, keinerlei persönlichen Wünsche auf das Kind zu projizieren. Zum Beispiel sollte man nicht denken oder zu ihm sagen, welchen Beruf es erlernen soll. Wenn man sagt: »Ich will, dass Du Musiker wirst«, so ist das ein Machtmissbrauch. Aber man kann das Kind für die Musik empfindsam machen. Das Gleiche gilt für alle anderen Berufe. Das Kind kommt weder, um den Ehrgeiz der Eltern zu befriedigen, noch um deren unerfüllten Träume zu erfüllen, noch um ihre Versäumnisse und Misserfolge auszugleichen. Es ist ein freier Mensch, der seine eigene Wahl treffen wird.
Wenn man solche Fehler beiseitelässt, macht man dem werdenden Kind ein großes Geschenk, wenn man es mithilfe seiner Vorstellungskraft empfänglich macht für all das, was schön, gut und wahrhaftig ist und sich bildlich vorstellt, dass es all diese Qualitäten besitzt. Dann kann es sich in seinem Leben leichter entwickeln und diese Qualitäten seinen eigenen Fähigkeiten entsprechend zum Ausdruck bringen.
Der Komponist Olivier Messiaen sagte einmal: »Als meine Mutter mich erwartete, war sie dichterisch inspiriert. Ich verdanke dieser Empfänglichkeit für das Poetische meine Karriere. Es war meine Mutter, die mich vor meiner Geburt zur Natur und zur Kunst geführt hat. Sie hat ihre Eingebungen dichterisch ausgedrückt; als Musiker habe ich sie später musikalisch umgesetzt.«
Zahlreiche Philosophen haben der Lebensweise und der Vorstellungskraft der Mütter eine große Bedeutung beigemessen. Schon aus der griechischen Antike ist überliefert, dass der Philosoph Empedokles sagte: »Das Kind gleicht dem Bild, das die schwangere Frau sich bei der Zeugung vorstellt. Die Frauen, die die Statuen der Götter oder Helden sehr liebten, haben Kinder zur Welt gebracht, die ihnen ähnlich waren.« Auch die Frauen der heutigen Zeit können die Schönheit betrachten, und zwar in der Form, die sie am meisten anspricht. Dabei können sie auch ihre Vorstellungskraft zu Hilfe nehmen.